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Interview mit der Tagungsleitung

Presseinformation

Aktuelle globale Herausforderungen wie der Klimawandel, die Transformation von Ökosystemen und die zunehmende Ausbreitung resistenter Krankheitserreger wirken sich auf die unterschiedlichsten Facetten der Mikrobiologie und Infektionsbiologie aus. Vom 2.-5. Juni 2024 diskutieren Expertinnen und Experten auf der wichtigsten nationalen mikrobiologischen Tagung in Würzburg aktuelle Themen in der Mikrobiologie, wie antimikrobielle Resistenzen oder Planetary Health. Letzteres zielt darauf ab, dass unterschiedliche Ökosysteme wie Mensch, Tier und Umwelt, einschließlich Mikroorganismen, nicht getrennt voneinander, sondern in Kombination betrachtet werden dürfen. Welche aktuellen Entwicklungen in Wissenschaft und klinischer Praxis noch im Fokus der 7. Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) und der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) stehen, berichten die Tagungsleiter Prof. Dr. Cynthia M. Sharma, Leiterin des Lehrstuhls für Molekulare Infektionsbiologie II sowie Sprecherin des Zentrums für Infektionsforschung in Würzburg, und Prof. Dr. med. Oliver Kurzai, Direktor des Instituts für Hygiene und Mikrobiologie an der Universität Würzburg, im folgenden Interview.

1. Frau Professorin Sharma, Herr Professor Kurzai, können Sie uns etwas mehr zum Konzept von Planetary Health sagen?

Oliver Kurzai: Planetary Health als Konzept bedeutet, dass wir die menschliche Gesundheit nicht isoliert betrachten dürfen, sondern im Kontext mit den uns umgebenden Ökosystemen. Deswegen ist interdisziplinäre Zusammenarbeit so wichtig. Ein Prinzip, das wir auch auf unserer Tagung umsetzen wollen, auf der sich Mikrobiologen, die sich mit der Umwelt beschäftigen, in aktiven Austausch mit Experten für Infektionsmedizin begeben. Planetary Health bedeutet auch, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Dies wollen wir zum Beispiel in einem Symposium zu infektiologischen Herausforderungen in Afrika machen, das gemeinsam mit dem Else-Kröner-Zentrum Würzburg-Mwanza gestaltet wird.

Cynthia Sharma: Konkret werden zum Beispiel neueste Daten diskutiert werden, wie sich der Klimawandel auf die kleinsten Lebensformen, wie beispielsweise Bakterien, in unseren Ökosystemen auswirkt und so eventuell auch neue Infektionen beim Menschen verursacht. Ein weiteres Beispiel ist ein Symposium zur Interaktion von Mikroorganismen mit Mikroplastik.

2. Auf der Tagung werden national und international renommierte Referentinnen und Referenten zum Austausch erwartet. Welche brandaktuellen Themen diskutiert die Mikrobiologie derzeit?

Cynthia Sharma: Die mikrobiologische Forschung ist unglaublich vielfältig: Mikroorganismen, die das Klima beeinflussen oder vom Klima beeinflusst werden, Mikroorganismen, die in der Biotechnologie neue Fortschritte ermöglichen, sowie eine Vielzahl neuer Immunsysteme in Mikroorganismen, die Bakterien und Archaeen vor Viren schützen. Neben dem berühmten CRISPR-Cas-System, für dessen Verwendung als revolutionäre Genschere erst vor kurzem ein Nobelpreis verliehen wurde, gibt es wirklich ein hohes Innovationspotenzial. Begleitend zur Tagung wird es vor dem Tagungszentrum auch einen Überseecontainer der TU Dresden mit der Wanderausstellung „Bakteriopolis“ geben, der nicht nur Tagungsteilnehmern, sondern auch externen Besuchern und Schulklassen einen Einblick in die faszinierende Welt der Mikroorganismen bietet.

Oliver Kurzai: Wie schon dargestellt werden wir auch globale „hot topics“ wie Klimawandel und Umweltverschmutzung im Hinblick auf mikrobiologische Aspekte betrachten. Und dann gibt es natürlich Dauerbrenner wie den globalen Anstieg der Antibiotikaresistenzproblematik oder die zunehmende Digitalisierung im Krankenhauslabor. Auch dazu werden internationale Expertinnen und Experten sprechen.

3. Ein Schwerpunktthema ist die synthetische Mikrobiologie. Was versteht man darunter?

Cynthia Sharma: In der synthetischen Mikrobiologie werden Zellen bzw. Stoffwechselwege oder Enzyme umprogrammiert, um ihre Nutzbarmachung vor allem für die Industrie zu optimieren. Dabei werden die biologischen Systeme häufig kontrollierbar gemacht. Das heißt, es gibt gewissermaßen einen An-/Ausschalter, so dass die Produktion gewollter Stoffwechselprodukte gezielt angekurbelt werden kann. Die Anwendungsbeispiele sind zahlreich. Zellen werden z.B. verändert, um die zelleigene Produktion von medizinischen Wirkstoffen zu maximieren. Auch in der Lebensmittelherstellung ist die synthetische Mikrobiologie nicht mehr wegzudenken. Andere Bestrebungen bemühen sich, Mikroorganismen dahingehend zu verändern, dass sie Plastikprodukte abbauen können oder wie sie für die CO2-Fixierung eingesetzt werden können.

4. Welche Herausforderungen gibt es im Bereich der Antibiotikaresistenz zu bewältigen?

Oliver Kurzai: Durch die stete Zunahme resistenter Keime verlieren immer mehr gängige Antibiotika ihre Wirksamkeit. Das gilt für Bakterien, aber auch für Pilze und Parasiten. Schon heute müssen dann zur Behandlung Kombination verschiedener Antibiotika oder sogenannte Reserveantibiotika eingesetzt werden. In Europa laufen schon lange Bestrebungen, den Einsatz von Antibiotika zu minimieren. Wir werden uns mit neuen resistenten Erregern, z.B. multiresistenten Bakterien oder dem Hefepilz Candida auris beschäftigen. Und natürlich geht es auch um die Entwicklung neuer antimikrobieller Wirkstoffklassen – neue Antibiotika, aber auch ganz neue therapeutische Ansätze.

Cynthia Sharma: Gerade im Hinblick auf neue Therapeutika, ist auch unser Verständnis der grundlegenden molekularen und zellulären Prozesse in den Mikroorganismen wichtig, beispielsweise wie sie sich an den Wirt und wechselnde Umweltbedingungen anpassen. Hierbei können auch die vielfältigen Funktionen von bakteriellen RNA-Molekülen ganz entscheidend sein. RNA und Infektion ist ein wichtiger Forschungsschwerpunkt in Würzburg und aus dieser Expertise können wir ganz neue Ansätze in das Thema Infektionstherapie mit einbringen. Ein weiterer neuartiger Ansatz, mit dem sich auch eine lokaler Forschungsschwerpunkt befasst, zielt auf Signalwege im Wirtsorganismus, z.B. der Immunantwort, ab, die entscheidend für den Infektionsverlauf sind.

5. Wie stellt sich die Mikrobiologie im digitalen Zeitalter (neu) auf?

Cynthia Sharma: Gerade im Bereich der Forschung ermöglicht es erst die richtige Software sowie Methoden der künstlichen Intelligenz, hochkomplexe und immer größer werdende Datensätze zu analysieren und die Ergebnisse graphisch darzustellen. Auch die Visualisierung komplexer Zusammenhänge ist dabei immer wichtiger geworden. Künstliche Intelligenz kann ganz neue Wege eröffnen, wie wir unsere Daten analysieren und verstehen. Auch das wollen wir auf der Tagung diskutieren  

Oliver Kurzai: Auch in der mikrobiologischen Diagnostik kann Analysesoftware und künstliche Intelligenz sehr hilfreich sein. Wir analysieren heute komplette Genomsequenzen von Mikroorganismen, um Ausbrüche und Infektionsketten zu rekonstruieren. Bestimmte Algorithmen könnten in der Zukunft diese Daten autark analysieren und frühzeitig vor Ausbruchsgeschehen warnen.

6. Der Klimawandel bewegt die Welt – und auch ihre Tagung. Was passiert mit Mikroorganismen durch klimatische Veränderungen und Erderwärmung? Und kann man diese vielleicht nutzbringend einsetzen?

Oliver Kurzai: Wir beobachten die Ausbreitung von Infektionskrankheiten, die bis vor Kurzem noch lokal begrenzt waren. Ein prominentes Beispiel ist Malaria, die vor allem aus dem subsaharischen Afrika bekannt ist. Mittlerweile wandert die Anopheles-Mücke, welche die Malaria überträgt, aber immer weiter in den Norden. Experten rechnen für die nahe Zukunft mit deutlichen Zuwächsen der

Mückenpopulation auch in Süd- und Südosteuropa. Ähnliche Szenarien sind für zahlreiche andere Vektoren, wie zum Beispiel Zecken bekannt. Steigende Wassertemperaturen begünstigen auch die Ausbreitung verschiedener Arten der Vibrio-Bakterien. Dies hat in den vergangenen Jahren zu einer steten Zunahme an Infektionen auch in Deutschland geführt.

Cynthia Sharma: Wir dürfen diese Analysen aber nicht nur auf Infektionen beschränken. Durch den Klimawandel ändern sich auch Lebensbedingungen für die Mikroorganismen, die wir in der Umwelt finden. Das kann dramatische Einflüsse im Hinblick auf die Besiedlung ökologischer Nischen auch mit höheren Organismen wie Pflanzen und Tiere haben.

7. Stichwort Mikrobiom. Dazu gibt es im Tagungsprogramm auch eine hochkarätig besetzte Session. Wie beeinflusst es unsere Gesundheit? Was gibt es dazu Neues?

Cynthia Sharma: Die Mikrobiom-Forschung hat sich in der Tat in den letzten Jahren zu einem großen Feld entwickelt und die Anzahl der Studien auf dem Gebiet ist rapide gestiegen. Diese Entwicklung wird auch durch enorme technische Fortschritte beschleunigt, die immer bessere Möglichkeiten zur Analyse des Mikrobioms eröffnen. Zudem werden neue Technologien entwickelt, um nicht nur die Zusammensetzung des Mikrobioms, sondern auch die Gene in verschiedenen Spezies aus dem Mikrobiom durch funktionale Analysen, z.B. auf RNA-Ebene, zu untersuchen.

Oliver Kurzai: Dass das Mikrobiom einen enormen Einfluss auf unsere Gesundheit hat, ist mittlerweile unstrittig. Die Unterschiede des menschlichen Mikrobioms sind beachtlich, keines gleicht dem anderen. Dies trifft selbst für nahverwandte oder im selben Haushalt lebende Personen zu. Das komplexe Wechselspiel zwischen den Mikroorganismen und dem Menschen im Detail zu entschlüsseln, wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen, zumal auch Umweltfaktoren wie die Ernährung, die Einnahme von Medikamenten oder die Wechselwirkungen zwischen den Mikroorganismen selbst ebenfalls berücksichtigt werden müssen.

8. Phagen und neuartige mikrobielle Abwehrsysteme sind ein großes Thema. Warum?

Cynthia Sharma: Nicht nur wir, sondern auch Prokaryonten, also Bakterien und Archaeen, können von Viren infiziert werden. Die sogenannten Bakteriophagen können auch als neue Therapien genutzt werden, z.B. bei Infektionen mit multiresistenten Keimen, die auf keine Antibiotikatherapie ansprechen. Dass Alternativen zu der gängigen Antibiose immer häufiger nötig sein werden, ist absehbar. Deswegen wollen wir nicht nur über die Biologie der Bakteriophagen sprechen, sondern auch Erfahrungen dazu austauschen, wie zukünftig Phagen effizienter zur Behandlung von Infektionen eingesetzt werden könnten. Um dies zu erreichen, ist ein besseres Verständnis der Interaktion von Bakterien und Phagen erforderlich. In den letzten Jahren gab es eine regelrechte Revolution in der Phagenforschung. Insbesondere werden neben den berühmten und bereits sehr vielfältigen CRISPR-Cas-Immunsystemen immer mehr neue Immunsysteme von Bakterien entdeckt, welche die Bakterien vor den Phagen schützen. Diese bakteriellen Abwehrsysteme weisen teilweise überraschende, evolutionäre Ähnlichkeiten zu Immunsystemen von Menschen und Tieren auf. Ein spannendes Forschungsgebiet, in dem aktuell sehr viel passiert.


Hintergrundinfos zu den beiden veranstaltenden Gesellschaften

Zur DGHM

Die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) wurde am 01. Juni 1906 gegründet.

Mit ihren mehr als 2000 Mitgliedern präsentiert sich die DGHM heute als eine aktive dynamische Gesellschaft, die ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte insbesondere auf den Gebieten der medizinischen und naturwissenschaftlichen Mikrobiologie, der Infektiologie sowie der Krankenhaushygiene und Umwelthygiene/Umwelttoxikologie sieht. Durch ihre Mitgliedschaft in der International Union of Microbiological Societies (IUMS) und der Federation of European Microbiological Societies (FEMS) hält sie zudem mit den verschiedensten internationalen Fachgesellschaften engen Kontakt und nimmt Einfluss auf nationale Belange in der Medizin, indem sie zu allen wesentlichen Aspekten von der Novellierung der Ausbildungsordnung für Mediziner bis zur Einschränkung der wissenschaftlichen Arbeit durch gesetzliche Maßnahmen (u.a. Tierschutzgesetz, Gentechnikgesetz, Infektionsschutzgesetz) aus ihrer fachspezifischen Perspektive Stellung bezieht.

Zur VAAM

Die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie e.V. (VAAM) wurde 1985 in Würzburg gegründet. Ihre Wurzeln liegen in der Local Branch ("Lokaler Ast") der American Society for Microbiology (ASM) in der Bundesrepublik Deutschland. Das VAAM-Signet besagt symbolhaft, dass die Allgemeine, grundlagenbezogene und die Anwendungsorientierte Mikrobiologie wechselseitig aufeinander angewiesen sind und folglich den gleichen Platz einnehmen. Die frühzeitige Bildung von selbständig agierenden Fachgruppen innerhalb der VAAM mit eigenen Symposien oder Summerschools, die Einbindung in die europäische FEMS sowie die Einrichtung einer gemeinsamen Geschäftsstelle mit der GBM zeigen, dass die Mitglieder der VAAM sich auf Veränderungen in der Gesellschaft einstellen wollen. Mit derzeit rund 3500 Mitgliedern ist die VAAM die größte mikrobiologisch ausgerichtete Fachgesellschaft im deutschsprachigen Raum.

Um auf die Vielfalt der mikrobiologischen Welt aufmerksam zu machen, wählt die VAAM jedes Jahr die Mikrobe des Jahres. In diesem Jahr ist dies das Kabelbakterium Electronema, mikrobielle Ketten, die Strom über mehrere Zentimeter leiten können. Diese Kabelbakterien stimulieren den Schadstoffabbau und reduzieren die Bildung von Treibhausgasen. Lesen Sie dazu bei Interesse gern diese Presseinformation der VAAM!

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Romy Held
Presse

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